Ist kompatibel und zertifiziert nicht das Gleiche?

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Erst kürzlich wurde ich wieder von einem Kunden gefragt:
Ist kompatibel und zertifiziert nicht das Gleiche?
Wie kam es zu dieser Frage? Ein Hersteller versuchte meinen Kunden zum Kauf seines Produktes zu animieren. Daran ist per-se nichts Verwerfliches. Mein Einwand, dass die Produkte aber nicht wechselseitig zertifiziert waren, wurde entgegnet, dass die Geräte innerhalb der Branche doch alle kompatibel wären und das wäre doch alles kein Problem, etc.
Der folgende Blogpost soll die signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Begriffen erklären.

Begriffsdefinition anhand eines Beispiels

In der Technik versteht man unter Kompatibilität bzw. Konformität primär die Einhaltung von bestimmten Spezifikationen. Wenn also der Hersteller ABC sagt, sein WLAN-Access Point sei kompatibel zu 802.11ac, dann meint er damit:

Wir haben die Spezifikation 123 gelesen, diese verstanden und danach das Produkt entwickelt. Das Produkt ist also unserer Meinung nach konform/kompatibel zu 123.

Gleiches macht ein anderer Hersteller XYZ und behauptet ebenfalls, dass z.B. sein Notebook ebenfalls 802.11ac konform und somit kompatibel sei.

Was aber, wenn die beiden Produkte dann trotzdem nicht miteinander funktionieren? Wie wir alle wissen, kommt dies speziell bei komplexen Technologien in der Audio/Video-Welt gar nicht so selten vor.

Richtig ist vielmehr:

Beide Firmen haben die Spezifikation aus der Norm bestmöglich INTERPRETIERT und je nach Qualität dieses Standards oder auch der Fantasie der Entwickler lässt dies leider mehr oder weniger Spielraum für leicht abweichende Lösungen zu. Neben dem klassischen Irrtum oder schlichten Fehlern sind es häufig genau diese leicht unterschiedlichen Ansätze, welche dann in der Praxis zu Problemen führen können.

Wenn zwei Geräte zum gleichen Standard kompatibel sind, dann funktionieren diese wahrscheinlich (oder hoffentlich!) auch miteinander. Der entscheidende Punkt ist jedoch:

Keiner der beiden Hersteller wird garantieren, dass sein Gerät mit allen Produkten aller anderen Hersteller perfekt funktionieren wird, nur weil die andere Partei ebenfalls eine Konformität seiner Produkte zum gleichen Standard behauptet.

Realität bei der Kombination unterschiedlicher Fabrikate

Die Lösung für dieses Problem ist es, eine dritte, unabhängige Partei ins Spiel zu bringen.

Zertifizierung

Wikipedia beschreibt es perfekt:
Als Zertifizierung (von lateinisch certus ‚bestimmt‘, ‚gewiss‘, ‚sicher‘ und facere ‚machen‘, ‚schaffen‘, ‚verfertigen‘) bezeichnet man ein Verfahren,
„… mit dessen Hilfe die Einhaltung bestimmter Anforderungen nachgewiesen wird.“

Ist kompatibel und zertifiziert nicht das Gleiche? Nein, weil eine Zertifizierung ein objektiver Beweis ist, dass die Kompatibilität auch tatsächlich besteht und nicht nur „nach bestem Wissen und Gewissen“ behauptet wird. Damit kann bzw. besser sollte auch eine Übernahme der Funktionsgarantie und damit die Entlastung des Anwenders vom Integrations-Risiko einhergehen.

Das obige Beispiel mit den WLAN-Komponenten wurde bewusst gewählt, weil es das vielleicht bekannteste Beispiel von Kompatibilität vs. Zertifizierung beschreibt. Dazu eine kleine Frage:

Kennen Sie den Unterschied zwischen WLAN und WiFi?

Wichtige Grundsatzfrage bei diesem Thema

WLAN = Wireless Lan

Unter dem Begriff WLAN fallen alle technischen Spezifikationen (primär die IEEE 802.11 Standards ) rund um das Thema Wireless LAN. Das sind sehr komplexe und viele tausend Seiten starke Dokumente. Anders gesagt: Es gibt unzählige Möglichkeiten, dass Hersteller das eine oder andere winzige Detail jeweils anders interpretieren. Ebenfalls sind manche Details schlichtweg nicht enthalten, müssen also vom Hersteller selbst definiert werden.

WiFi

WiFi Alliance

Der Begriff WiFi ist wie man vermuten kann an den seit Jahrzehnten bekannten Ausdruck HiFi angelehnt. Hüter dieser Abkürzung ist die Wi-Fi Alliance (Details siehe hier: https://www.wi-fi.org und https://de.wikipedia.org/wiki/Wi-Fi#Wi-Fi_Alliance ) Das ist ein Gemeinschafts-Unternehmen gegründet und finanziert von vielen Herstellern von WLAN-Komponenten. Dieser Verband hat nun die Aufgabe, Produkte zu testen. Nicht nur auf Einhaltung der entsprechenden Normen und Standards, sondern primär ob diese Geräte auch interoperabel sind, also wie gewünscht unabhängig vom Hersteller miteinander funktionieren. Die WiFi-Alliance ist davon überzeugt, dass funktionierende Technik den Markt belebt, indem Ängste ab- und Vertrauen in die Technik aufgebaut werden.

„It just works“ ist ja auch wirklich ein tolles Verkaufsargument. Schließlich interessiert es den Anwender weniger, wer den technischen Standard am besten implementiert hat, sondern nur, ob alle seine Geräte problemlos miteinander funktionieren.

Die Alliance vermittelt zwischen den Einzelmeinungen und definiert eine gemeinsame und für alle Mitglieder verbindliche Interpretation. Recht häufig fließen solche Erkenntnisse wieder zurück in die Normen, wo diese Präzisierungen dann in neuere Auflagen der Spezifikationen eingebaut werden. Oder man einigt sich auf sogenannte Industrie-Standards, die zwar nicht formal in einem Normen-Prozess fixiert werden, sondern stattdessen von allen Marktteilnehmern als „so machen wir es“-Aggreement definiert werden.

Damit dies nicht alles pure Theorie bleibt, laden die Vereinigungen zum sogenannten PLUGFEST. Dort treffen sich die Entwickler mit ihren Produkten und nach dem Motto „jeder mit jedem“ werden die einzelnen Geräte mit jeweils möglichst vielen Produkten der anderen Hersteller getestet. Jedes auftretende Problem wird dann objektiv und neutral beurteilt. Hat ein Hersteller einen Fehler gemacht? Ist der Standard doch zu unklar formuliert? Das Ziel ist, den Standard für alle nachvollziehbar ausreichend „wasserfest“ zu machen, damit der Anwender die Geräte problemlos kombinieren kann.

Aus „kompatibel zu 802.11ac“ wird also „WIFI certified ac“. https://www.wi-fi.org/discover-wi-fi/wi-fi-certified-ac
Alle WiFi certified ac Produkte spielen garantiert problemlos miteinander und dürfen daher das entsprechende Logo zeigen:

WiFi certified

WLAN vs. WiFi kann daher sehr gut für die Beantwortung der Frage dienen:
Ist kompatibel und zertifiziert nicht das Gleiche?

AVB vs AVNU

AVnu Logo

Es gibt noch viele andere Beispiele Kompatibilität vs Zertifizierung. Im Bereich der digitalen Audio-Netzwerke ist vielen von Ihnen sicher AVB – Audio Video Bridging ein Begriff. Die darin enthaltenen Normen weisen einige Lücken auf. Nach Ansicht der Ersteller ist dies aber kein Versehen, sondern pure Absicht. Man erhebt gar nicht den Anspruch, wirklich „alles nötige“ mit den AVB-Specs standardisieren zu wollen, sondern verweist z.B. auf andere schon existierende oder auch noch (von anderen!) zu erstellende Normen.

In der Praxis führte dies in der Vergangenheit leider dazu, dass jeder Hersteller seine eigene Version von AVB entwickelte. Die fehlenden oder unklaren Teile hat jeder unabhängig für sich definiert.

Es folgte die Bildung der AVnu-Alliance, die Produkte wurden halbwegs interoperabel, aber selbst dies war nur ein erster Zwischenschritt. Erst die MILAN-Initiative erlaubt echtes Plug-n-play, weil nun wirklich „alles“ definiert ist. Hersteller wissen nun ganz genau, was sie wie machen müssen. Anwender können darauf vertrauen, dass MILAN-zertifizierte Produkte.

  1. Problemlos zusammenspielen
  2. Bei Problemen sich die Gemeinschaft der Hersteller um eine Lösung bemüht.

Für die Nerds unter Ihnen:
Nein, es ist kein Zufall, dass das Projekt den Namen einer italienischen Stadt trägt. Keiner will aber zugeben, dass ein konkurrierendes Projekt für die digitale Audio-Vernetzung dafür verantwortlich ist. 🙂

Zusammenfassung

Der Unterschied zwischen kompatibel und zertifiziert liegt also in der Bestätigung durch eine unabhängige Stelle, der beide Seiten vertrauen.

In einem folgenden Blogpost wird es um konkrete Auswirkungen für die AV-Welt gehen. Wie schon der Artikel Acoustic Echo Cancelling AEC in MS Teams gezeigt hat, sind z.B. sehr viele USB-Audio-Geräte zu MS Teams wahrscheinlich kompatibel, aber bei weitem sind nicht alle auch MS Teams zertifiziert.
Bei den UC-Plattformen ist die Situation noch deutlich komplexer. Dort gibt es häufig zusätzliche Spezifikationen, welche NICHT öffentlich verfügbar sein. Ob ein Gerät nun 100% kompatibel ist, kann der Hersteller folglich gar nicht selbst überprüfen! Dazu in einem folgenden Blogpost vielleicht noch mehr.

Der Unterschied zwischen kompatibel/konform zu zertifiziert mag klein sein, im Falle eines Problems ist er aber entscheidend. In diesem Sinne wünsche ich viel Erfolg bei der Kombination verschiedenster Hersteller, welche alle mit dem Brustton der Überzeugung versichern, selbstverständlich kompatibel zu xyz zu sein.

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