Fortschritte bei der Noise Reduction

Microsoft Research Audio

Bei kaum einem anderen Bereich der Konferentechnik gab es in den letzten Jahren so viel Neues als rund um das Thema Fortschritte bei der Noise Reduction. Die Kommunikations-Plattformen schicken unsere Audio-Signale alle durch die Cloud. Dort warten Künstliche Intelligenz AI und Machine Learning (ML) und optimieren, verändern und verbessern unsere Sprache. Immer in der Hoffnung, dass das Ergebnis besser ist als voher. Aber ist dies auch wirklich der Fall?

Am Beispiel Microsoft Teams möchte ich die jüngste Entwicklung ein wenig zeigen.

Fortschritte bei der Noise Reduction, Stand Dez 2020

Das ist noch gar nicht so lange her, oder?:

Hören Sie den Unterschied? Die Nebengeräusche nach dem Einschalten der Noise Reduction (NR) sind wie weggezaubert, aber Sie bemerken aber sicher auch die deutlich dumpfere Stimme. Obwohl es sich so anhört, ist die Version mit NR jedoch nicht leiser!

Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir und sie wollen den (nur empfundenen) Rückgang in der Lautstärke mit ein wenig Erhöhen des Pegels ausgleichen. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass diese Bearbeitung, obwohl auf den ersten Blick sehr hilfreich, auf Dauer doch ein wenig ermüdender ist als das Original! Die erhöhte Lautstärke ändert zwar nichts an der Klangfarbe; trotzdem sorgt sie dafür, dass wir besser zuhören können. Dies hat keinen physikalischen Grund, sondern folgt der uralten Regel, dass für uns „lauter“ gleich „wichtiger“ ist. Wir Menschen sind eben Gewohnheitstiere und daran ändert sich nicht so schnell etwas.

Ich will das Thema Noise Reduction jetzt nicht schlechtreden, aber betrachten wir die Situation einmal ohne die Remote-Teilnehmer: Wer kann bei solchen Nebengeräuschen im Raum vernünftig zuhören? Niemand!
Würde der User ein ordentliches Headset tragen, so wären gleich zwei Probleme vielleicht nicht 100% gelöst, aber massiv verkleinert.
Die Störgeräusche im Raum dringen nicht mehr ungehindert an die lokalen Ohren UND der deutlich geringere Besprechungsabstand zum Mikrofon nimmt viel weniger Störungen auf.

Fortschritte bei der Noise Reduction, Stand Juni 2022

Was hören Sie jetzt? Ich höre eine nochmals verbesserte NR und eine deutlich natürlichere Stimme. Am auffälligsten ist jedoch die sog. De-Reverberation also das Entfernen von Raum-Hall. Der Sprecher rückt gefühlt viel näher ans Mikrofon, der Raumanteil ist massiv kleiner und kaum mehr zu hören.
DAS ist mindestens so relevant für den Höreindruck auf der Gegenseite. Wahrscheinlich sogar eindrucksvoller als alle Fortschritte bei der Noise Reduction selbst.

Dass dabei die Stimme kaum leidet, ist wirklich beeindruckend! Bravo!

Trotzdem aller Fortschritte bei der Noise Reduction bleibt meine Empfehlung:
Ein Staubsauger hat in einer Videokonferenz nichts zu suchen! Und das hat nicht nur akustische Gründe.

Meeting-Weisheiten (c) Harald Steindl

Wettkampf der Plattformen

Wie auf diesem Blog schon mehrfach beschrieben, überbieten sich die großen Drei (MS Teams, Zoom und Webex) regelmäßig mit immer besserem Audio Processing.  Siehe z.B. Rauschunterdrückung und Music Mode in Conferencing Tools oder Audio im Konferenzraum muss nicht schlecht sein.

Damit kann man zweifellos tolle Demos machen und sowohl Newcomer als auch Experten zum Staunen bringen. ABER die praktische Auswirkung ist meiner persönlichen Meinung nach geringer als uns die Hersteller glauben lassen wollen. Schon aus purem Eigeninteresse sollten wir uns für Video-Calls einen Platz suchen, der ein akustisch annehmbares Ambiente hat. Störenden Einfluss von außen dämpft wie beschrieben ein enganliegendes Headset mit Nahbesprechungs-Mikro noch immer am allerbesten ab.

Und was ist mit der Noise Reduction im Meetingraum?

Gut, dass Sie mich erinnern.
Ganz viele dieser Algorithmen funktionieren in Meetingräumen signifikant schlechter! Die Entfernung zum Mikrofon ist um ein Vielfaches weiter, die Laufzeiten von den einzelnen Sprechern im Raum zum Mikrofon variieren stark und noch vieles andere mehr. In solch einem Umfeld ähnlich imposante Ergebnisse zu erzielen ist ungleich schwieriger. Mit ein Grund, warum Demovideos meist Desktop-Umgebungen zeigen. Sorry, Marketing.

Störgeräusche im Meetingraum bekämpft man auch besser mit anderen Werkzeugen wie z.B. mit optimal eingestellten Mic-Arrays. Diese filtern Geräusche nicht erst aufwändig aus dem schlechten Signal heraus, sondern vermeiden mit gezielter Aufnahme-Charakteristik, dass Störungen überhaupt ins Mikrofon kommen.

Machen Sie daher die Probe aufs Exempel: Schalten Sie die Noise Reduction in Ihrem Raumsystem doch einfach einmal ab! Sehr gut möglich, dass Sie dann vielleicht ein wenig mehr „Raum“ in Ihrem Signal haben, dafür aber eine sehr natürliche Übertragung ohne jede Audio-Tricksereien. Ein paar Tipps auch in meinem Gastvortrag bei der Alex & Ragnar Show Link .

Daher: Lassen wir uns von eindrucksvollen Demos nicht allzu sehr blenden und legen sie als weiteres Hilfsmittel in unsere Toolbox zur Benutzung nach Bedarf. Es ist gut, diese zu haben, aber wenn wir diese immer brauchen, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht.

Wenn Sie auf der Suche nach Unterstützung beim Thema Audio im Meetingraum sind, dann freue ich mich auf Ihre Kontaktaufnahme.